Fünf Fragen zum Proximity Tracing
In den letzten Wochen wurde unserem Team bei ethix – Lab für Innovationsethik oft die Fangfrage des Moments gestellt: "Werden Sie die vom Bund empfohlene Contact Tracing-App installieren?“ Ab heute, dem 25. Juni, ist die App allgemein zugänglich. Spätestens heute wird sich jede und jeder im Land diese Frage stellen müssen. Anstatt unsere persönliche Meinung kundzutun, schlagen wir fünf Fragen vor, die sich alle stellen sollten.
Die technischen Fragen haben wir absichtlich beiseitegelassen, um uns auf Themen zu konzentrieren, mit denen sich alle ohne Vorkenntnisse befassen können. Natürlich gilt es auch, sich nach bestem Wissen und Gewissen mit der gewählten technischen Lösung auseinanderzusetzen. Doch kommen die meisten von uns bei dieser Anwendung nicht umhin, uns auf bestimmte Institutionen oder Personen – Expertinnen und Experten – zu verlassen, die wir als vertrauenswürdig erachten.
Wir nennen zuerst die fünf Fragen und erläutern sie in der Folge mit Blick auf unsere Auswahl und die getroffene Formulierung. Denn keine Frage kann je gänzlich neutral gestellt werden.
Die fünf Fragen lauten wie folgt
- Welches Problem möchten Sie mit Hilfe der App lösen helfen?
- Sind Ihrer Meinung nach ausreichende Massnahmen ergriffen worden, um sicherzustellen, dass die Verwendung der App für alle freiwillig ist?
- Sind Sie bereit, den Empfehlungen der App Folge zu leisten?
- Halten Sie es für legitim, dass der Staat den Menschen empfiehlt, Kontaktdaten auszutauschen?
- Ist das Verhältnis zwischen den potenziell problematischen Aspekten der App (Datenschutz, Achtung der Privatsphäre, Missbrauchsrisiken) und ihrem möglichen Nutzen Ihrer Meinung nach ausgewogen?
Unsere Erläuterungen zu den fünf Fragen
1. Welches Problem möchten Sie mit Hilfe der Anwendung lösen helfen?
Diese Frage zielt darauf ab zu ermitteln, wie die BenutzerInnen den Nutzen der App wahrnehmen. Bevor die Anwendung installiert wird, sollten alle in der Lage sein zu erklären, warum das Instrument nutzen: Welche(s) Problem(e) möchte die/der potenzielle Nutzende mit der Anwendung lösen? Diese erste Frage zielt darauf ab zu vermeiden, dass Personen die App unbewusst ohne eigenständig reflektierten Grund verwenden. Es geht also darum sicherzustellen, dass zwischen den Problemen, die die Person lösen will, und der Nutzung der App, ein Zusammenhang besteht, die App also das geeignete Instrument ist für den Nutzen, den die Person davon für sich selbst oder für die Gesellschaft erwartet.
2. Sind Ihrer Meinung nach ausreichende Massnahmen ergriffen worden, um sicherzustellen, dass die Verwendung der App für alle freiwillig ist?
Diese Frage behandelt die zentrale Voraussetzung dafür, die Bundesrat und Parlament für die App festgeschrieben haben: die Freiwilligkeit ihrer Nutzung. Niemand soll gezwungen oder genötigt werden, die App zu benutzen. Freiwilligkeit der Nutzung setzt voraus, dass die Person ausreichend über die Bedingungen der Nutzung, die Folgen einer Benachrichtigung über relevanten Kontakt mit einer infizierten Person und die potenziellen Risiken der App bzw. ihrer Verwendung informiert wurde. Die Frage der Freiwilligkeit bezieht sich zunächst auf die NutzerInnen selbst, fordert aber auch dazu auf, über die Bedingungen für die Gesellschaft als Ganze zu reflektieren. Es muss gewährleistet sein, dass die Nutzung für alle freiwillig ist, d.h. auch für Personen in einer besonders verletzlichen Situation (z.B. gegenüber einem Arbeitgeber oder KollegInnen, die die Nutzung der Anwendung verlangen könnten).
3. Sind Sie bereit, den Empfehlungen der App Folge zu leisten?
Bei dieser Frage geht es um die Effektivität der Nutzung. Wenn eine Person die App verwenden möchte, sollte sie bereit sein, den Empfehlungen der App Folge zu leisten. Dazu gehören die Reaktion auf eine Meldung in Zusammenhang mit der Ansteckung einer Kontaktperson und die Empfehlung zur Selbstisolation. Wenn eine potenzielle Nutzerin/ein potenzieller Nutzer sich sicher ist, dass sie/er den Empfehlungen der App nicht Folge leisten wird, ist deren Installation nicht sinnvoll.
4. Halten Sie es für legitim, dass der Staat den Menschen empfiehlt, Kontaktdaten auszutauschen?
Diese Frage bezieht sich auf die generelle Legitimität der Empfehlung des Bundesrates und des BAG sowie gegebenenfalls weiterer Behörden, die App zu nutzen. Die Gesundheitsbehörden des Landes spielen in diesem Prozess eine aktive Rolle, sie sind nicht nur Zuschauer. In dem in der Schweiz zur Anwendung kommenden Modell (D3PT) haben die Behörden und die NutzerInnen keinen Zugang zu den Daten. Die App arbeitet „horizontal“, allein zwischen den Geräten der NutzerInnen, und zwar ohne Daten zu übertragen, die Personen identifizieren könnten.
5. Ist das Verhältnis zwischen den potenziell problematischen Aspekten der App (Datenschutz, Achtung der Privatsphäre, Missbrauchsrisiken) und ihrem möglichen Nutzen Ihrer Meinung nach ausgewogen?
Diese Frage zielt auf die Güterabwägung, die bei der Entscheidung für oder gegen die Installation bzw. Nutzung der App vorzunehmen ist. Die Person muss entscheiden, ob der Nutzen (Antwort auf Frage 1) die möglichen problematischen Aspekte der Anwendung überwiegt. Potenziell problematische Aspekte ergeben sich in mindestens drei Bereichen: Datenschutz, Schutz der Privatsphäre und Missbrauchsrisiken bei der Nutzung der Anwendung. Ähnlich wie bei Frage 2, so betrifft diese Frage sowohl die einzelne potenzielle Nutzerin/den einzelnen potenziellen Nutzer als auch Schwierigkeiten, die sich für andere Menschen ergeben könnten. Die Verwendung einer solchen App geht mit Fragen der sozialen Gerechtigkeit einher: Sie fordert uns auf, unsere individuelle Situation, aber auch die Situation anderer Menschen zu berücksichtigen.