Digitale Verantwortung der SMI-Unternehmen: eine grosse Baustelle
Gehen Unternehmen verantwortungsvoll mit digitalen Anwendungen um? Klammert man Marketingversprechen und blosse Ankündigungen aus, wirft die von der Ethos Stiftung zu Beginn des Jahres 2022 veröffentlichte Studie ein ungutes Licht auf die digitale Verantwortung der grössten Unternehmen des Landes. Von den 48 untersuchten Unternehmen erreicht das Bestplatzierte einen Wert von nur gerade 39 von 100 möglichen Punkten. Der Weg ist noch lang und beschwerlich.
Digitale Verantwortung?
Doch wovon sprechen wir genau? Vorgängig zur Studie identifizierte die Ethos Stiftung sieben Schlüsselprinzipien, um die Bereiche digitaler Unternehmensverantwortung (Corporate Digital Responsibility, CDR) zu definieren. Diese Verantwortung bezieht sich laut Ethos sowohl auf die interne Nutzung digitaler Technologie (z.B. in der Verwaltung, für Marketing- und Kundenkontakte, in der Logistik, beim Online-Verkauf oder für die Automatisierung von Prozessen) als auch, falls erforderlich, auf die Entwicklung eigener digitaler Anwendungen. Es lässt sich also zwischen zwei Ebenen von Verantwortung unterscheiden: einer ersten, die alle Unternehmen betrifft, weil sie digitale Anwendungen in ihrer Tätigkeit einsetzen (alle Grossunternehmen und fast alle KMU), und eine zweite, die nur diejenigen betrifft, die selbst digitale Anwendungen entwickeln.
Die von Ethos identifizierten Grundsätze beinhalten selbstverständlich den Datenschutz, gehen aber weit darüber hinaus. Sie umfassen auch die Forderung, dass ethische Grundsätze für den Einsatz von künstlicher Intelligenz (KI) vorliegen müssen, die Berücksichtigung der Umweltauswirkungen digitaler Technologie und die Aktivitäten des Unternehmens im Hinblick auf einen sozial gerechten und verantwortungsvollen digitale Transformation. Denn die Digitalisierung kann erhebliche Auswirkungen auf die Zusammenarbeit in Teams haben, sowie auf die Arbeitsinhalte bzw. die Arbeitssituation der Mitarbeitenden und die Art und Weise, wie ihre Pflichten verteilt sind. Für das Unternehmen und die Gesellschaft als Ganze hat die Gestaltung der digitalen Transformation daher eine grosse Tragweite.
Was zeigen die Ergebnisse der Ethos-Studie?
Die meisten Unternehmen sind (noch) nicht bereit, die Herausforderungen digitaler Verantwortung anzunehmen oder zumindest die relevanten Informationen zur Verfügung zu stellen. Gemäss Ethos zeigt dies, wie wichtig es ist, dass sich die Unternehmen diesen Fragestellungen widmen und die wenigen vorhandenen Informationen besser strukturieren.
Das Unternehmen "La Bâloise" belegt den ersten Platz in der Rangliste mit insgesamt 39,6 Punkten ... von 100. Die Musterschülerin des Landes kommt also nur auf knapp 40 % der Gesamtpunktzahl. Die Versicherungsbranche schneidet generell am besten ab, da sie es gewohnt ist, mit sensiblen Daten umzugehen, bereits fortgeschrittene KI-Tools einsetzt, und da ihre Aktivitäten stark reguliert sind (insbesondere in Bezug auf Governance und Kontrolle). Im Allgemeinen zeigt die Studie, dass das Thema Datenschutz am ausgeprägtesten systematisch behandelt wird, was die Bedeutung der Regulierung in diesem Bereich widerspiegelt.
Im Gegensatz dazu ist die Situation beim Thema ethische Grundsätze für die Nutzung von KI besorgniserregend. Nur drei Unternehmen geben an, solche Grundsätze eingeführt zu haben. Ebenso informieren nur vier Unternehmen darüber, wenn sie KI einsetzen, sei es beispielsweise in einem teilautomatisierten Einstellungsverfahren, oder in ihren Produkten und Dienstleistungen, z.B. einem Chatbot auf der Website. Der mögliche Ausschluss sensibler Aktivitäten im Bereich der KI gehört ebenfalls zu den von Ethos beleuchteten Aspekten. Während Überlegungen zu eindeutigen Ausschlusskriterien im Bereich des verantwortungsbewussten Investierens bereits weit fortgeschritten sind, scheinen die Unternehmen des SMI erst am Anfang einer Auseinandersetzung mit dieser Frage zu stehen.
Auch bezüglich der Auswirkungen digitaler Anwendungen auf die Gesellschaft scheint die Frage noch nicht genügend thematisiert zu werden. In dieser Kategorie erzielte das Unternehmen Adecco die höchste Punktzahl (50/100). Die Auswirkungen auf die Angestellten (ihre Aufgaben, ihre Arbeitszeit, ihre Art zu interagieren, aber letztlich auch ihre Arbeitsplätze) scheinen für die überwiegende Mehrheit der Unternehmen kein vorrangiges Thema zu sein. Gemäss der Ethos-Analyse haben nur drei von 48 Unternehmen (Adecco, Clariant und Nestlé) die möglichen Auswirkungen des digitalen Wandels auf ihr Geschäft und insbesondere auf ihre Belegschaft bereits untersucht und öffentlich darüber kommuniziert.
Was ist zu tun?
Für die 48 Unternehmen der Ethos-Studie sollte die digitale Verantwortung zu einer Priorität werden, um sich den sozialen und ethischen Herausforderungen des digitalen Wandels zu stellen. Im Kontakt mit den Kundinnen und Kunden bietet der Einsatz digitaler Anwendungen wirtschaftliche Chancen, aber auch grosse Reputationsrisiken. Diese Ansprüche werden bei der Analyse von ESG-Kriterien (Environmental, Social and Corporate Governance) bis anhin nur am Rande behandelt. Die gute Unternehmensführung bei digitalen Werkzeugen ist Teil des "G" und ergänzt die traditionellen Fragen der Unternehmensethik. Die Anforderungen an die Produkte/Dienstleistungen könnten als soziale Dimension hinsichtlich der Auswirkungen auf die Gesellschaft in das "S" aufgenommen werden. Für die Nachhaltigkeitsverantwortlichen der großen Schweizer Unternehmen ist es jetzt Zeit, die immer wichtiger werdenden Themen der digitalen Ethik expliziter zu integrieren.
Möchten Sie mehr darüber erfahren? Zögern Sie nicht, sich unser Beratungsangebot anzusehen, das speziell auf die Herausforderungen im Bereich digitale Unternehmensverantwortung zugeschnitten ist. Kontakt: rochel@ethix.ch